Interview
Produkte & Lösungen
12.03.24
„Ich habe Mut zu allem und Angst vor nichts!“
Vom zahntechnischen Start-up zum globalen Unternehmen für Zahntechniker und Zahnärzte
Sich etwas trauen kann man lernen, Leadership auch. Das hat Enrico Steger mit seinem Unternehmen Zirkonzahn bewiesen, als er vor 20 Jahren als Start-up für seine selbst entwickelte Kopierfräse begonnen hat. Mittlerweile ist die Südtiroler Firma zu einem Unternehmen mit mehr als 300 Mitarbeitern an mehreren Standorten weltweit gewachsen. Warum es sich lohnt, seinen eigenen Weg zu gehen, welche Werte Enrico Steger dabei leiten und wie Zahntechniker und Zahnärzte davon profitieren können, erläutert der polarisierende Selfmade-Unternehmer im Interview.
Herr Steger, Sie sind Zahntechnikermeister und Unternehmer und bekannt für Ihre Leidenschaft für das Handwerk. Mit der Digitalisierung wandeln sich die Berufsbilder des Zahnmediziners und des Zahntechnikers. Wie viel Leidenschaft braucht es denn heute noch, um gute prothetische Versorgungen herzustellen?
Enrico Steger: Mit der Digitalisierung braucht es genauso viel Leidenschaft wie im Handwerk, denn auch Maschinen benötigen viel Fürsorge, damit sie gut funktionieren. Das heißt, die Maschine muss mit Leidenschaft gebaut und bedient werden, damit am Ende ein gutes Produkt herauskommt. Denn Leidenschaft bedeutet: Es schafft Leiden, wenn die Sache nicht ordentlich gemacht ist.
Ich betrachte es als Charaktereigenschaft, wenn man die Dinge, die man tut, gut machen möchte. Dazu gehört auch, dass man vor anderen Menschen bestehen will bzw. in der gewünschten Art und Weise in der Gesellschaft gesehen werden möchte. Egal, welche Maschine oder Technologie ich bediene, wenn ich sie nicht mit Leidenschaft betreibe, kommt nichts Gutes dabei heraus. Mit dem Einsatz von Maschinen steigt jedoch auch die mögliche Qualität, die man erreichen kann; infolgedessen wird mit dem Einsatz von Maschinen die Messlatte höher angesetzt.
Neben der Leidenschaft benötigen Berufseinsteiger Führung, also Mentoren, die Orientierung geben und zeigen, was möglich ist; was man können sollte und wer man sein könnte. Das heißt, alle, die zu uns kommen, um zu lernen, sind begeistert, weil sie bei uns ein Gefühl dafür bekommen, wie es ist, wenn man seine Sache richtig gut macht. Wir haben neben Zahntechnikern auch ständig – meist junge – Zahnärzte bei uns, die eine dreimonatige praktische Ausbildung erhalten. Am Ende bekommt jeder Zahnarzt, der 1.000 Zähne im Ober- und Unterkiefer am Phantomkopf präpariert hat, das Dante-Alighieri-Diplom verliehen, denn erst dann beherrscht er das Präparieren blind. Das ist wie Klavierspielen. Hat man die Passage entsprechend oft geübt, kann man sie blind spielen.
… und wer führt diese Kurse durch?
Ich, denn ich habe das Präparieren selbst so lange geübt, dass ich in der Lage bin, einen Unter- und Oberkiefer – also 28 Zähne – am Phantomkopf in einer Stunde zu präparieren. Momentan ist eine junge Zahnärztin zur praktischen Ausbildung bei uns im Haus, die das Dante-Alighieri-Zertifikat bereits erworben hat. Sie schafft die OK-/UK-Präparation nun makellos in vier Stunden. Natürlich gehören zu der praktischen Ausbildung in unserem Haus auch noch weitere Übungen wie etwa ein paar hundert Wurzelfüllungen, Inlay-Präparationen, Fäden stopfen am Phantommodell und dann Intraoralscans anfertigen sowie der Umgang mit dem Face Hunter (3D-Gesichtsscanner) und dem PlaneFinder. Meine Botschaft an die jungen Zahnärzte und Studenten lautet: Üben, üben, üben, denn Lernen heißt, etwas ständig wiederholen, bis es sitzt! Wir eröffnen in Kürze in Bruneck eine Klinik, an der mehrere Zahnärzte tätig sein werden. Sobald die jungen Zahnärzte ihren Abschluss haben, werden sie vom Phantomkopf zum Patienten übergehen und dabei von unserem zahnärztlichen Team angeleitet.
Ich möchte noch einmal auf das prothetische Team zu sprechen kommen, denn auch das ist mit zunehmender Digitalisierung anders gefordert als bisher. Wo sehen Sie die Rolle des Zahntechnikers im Zusammenspiel mit dem Zahnarzt?
Es wird davon abhängen, wie viele Zahntechniker es weiterhin geben wird und vor allem, welchen Bildungsgrad sie mitbringen. Wir führen gerade ein Projekt mit der Fachhochschule Kärnten durch. Dort bilden sich Zahntechniker im Studiengang „Digitale Dentaltechnik – Bachelor Professional (BPR)“ weiter. Sie erlernen dort neben den Grundlagen der Fertigungsverfahren und Materialien auch soziale Kompetenzen wie Kooperationsfähigkeit, Führungsqualitäten und Kommunikationsfähigkeit, sodass die Zusammenarbeit im Team am Patienten auf Augenhöhe gelingt. In Österreich gibt es eine Prüfung, die zulässt, dass Zahntechniker am Patienten arbeiten dürfen. Somit wird der Zahntechniker besser ausgebildet, besteigt ein höheres Niveau und sollte dann als technischer Assistent in der Praxis mit dienlich sein, weil er – bedingt durch seine Ausbildung – einen besseren technischen Zugang hat als der Zahnarzt, der ein biologisches Verständnis mitbringt.
Wo sehen Sie das prothetische Behandlungsteam in fünf bis zehn Jahren, und welche Vision haben Sie als „Mr. Zirkonzahn“ für das Team?
Ich möchte zunächst einen Exkurs in meine Vergangenheit machen. Als Kind habe ich es unglaublich geliebt, wenn mir mein Vater in der Werkstatt etwas gezeigt hat. Das habe ich so positiv in Erinnerung, dass ich jedes Mal, wenn ich jemandem etwas zeige, ein Glücksgefühl spüre. Ich liebe es, den Menschen Erfahrenes und Erarbeitetes weiterzugeben, dass sie es mir gleichtun können, groß und gut werden in dem, was sie tun. Deshalb war und ist es mein innigster Wunsch, aus Zirkonzahn ein Unternehmen zu machen, das liefert und schult. Zum einen die Waren, die wir produzieren, gut zu verarbeiten und zum anderen auch inspiratives Momentum zu generieren. Das heißt, wir sollten ein Unternehmen bzw. Ort sein, wo man gerne hingeht und etwas lernen kann. Dazu haben wir verschiedenste Ausbildungsmodule wie beispielsweise die Military School, Ranger School und Forest School geschaffen. Dort lernt man nicht nur, wie gute Prothetik geht, sondern auch Philosophisches, beispielsweise, wie man ein gutes Lebens- und Selbstwertgefühl erzielt. Die Teilnehmer dieser Module bekommen dank Führung und Feedback ein Gefühl dafür, ob das, was sie tun, richtig oder falsch ist. Sie haben dort Erfolgserlebnisse und wissen am Ende, wie man zu einem guten Ergebnis gelangt. Dieses Angebot nehmen auch viele junge Zahnärzte aus aller Welt wahr, postgraduate nach dem Studium. Emotion ist universal, das hat nichts mit dem Bildungsgrad zu tun.
Die Wirtschaftspsychologie beschreibt es so: Ich brauche einen Anker, um überhaupt etwas werden zu können. Damit ich mich zu diesem Selbst entwickeln kann, brauche ich einen Vergleich, also Parameter, damit ich weiß, wohin ich schauen muss, um es denen gleich zu tun, die dieses Handwerk schon beherrschen. So wie der Seefahrer wissen muss, wo Norden ist, damit er weiß, wohin er segeln muss. Weiß er das nicht, segelt er im Kreis und beginnt, seinen Beruf zu hassen, weil er außer monetärer Kompensation keinerlei Glücksgefühl verspürt. Wenn ich aber die Parameter kenne und weiß, wann etwas gelungen ist, dann erlebe ich ein Glücksgefühl.
Von welchen Parametern sprechen Sie?
Disziplin. Treibe ich am Morgen Sport, verschafft mir das schon das erste Glücksgefühl am Tag, denn ich habe etwas für mich getan. Mit dieser Einstellung gehe ich dann in den Tag hinein und mit diesem Glücksgefühl öffnet und weitet sich mein Mindset; der Blick ist nicht mehr so eng.
Um noch einmal auf das prothetische Team und Ihre Vision zurückzukommen. Dem Unternehmen Zirkonzahn liegt Ihre zahntechnische DNA zugrunde. Was bieten Sie dem Zahnarzt an?
Den Zahnärzten gefällt es bei uns, weil sie unsere Entschlossenheit mögen. Wir veranstalten Kurse für Zahnärzte und Zahntechniker, in denen beide Berufsgruppen im selben Kurs instruiert werden. Mein größtes Vorbild in puncto Weiterbildung ist Prof. Dr. Alexander Gutowski, denn alle Zahnärzte, die ich kenne und die bei ihm Kurse besucht haben, sind handwerklich sehr gut. Unser Ziel ist es, Zahntechniker und Zahnärzte zusammenzubringen. Wir schulen die Zahnärzte auf das zahnärztliche und den Zahntechniker auf das technische Know-how. An den Schnittstellen, an denen sie kooperieren müssen, führen wir dann beide Berufsgruppen zusammen.
Im Zusammenhang mit Zirkonzahn sprechen Sie oft von Ideenschmiede. Was verbirgt sich dahinter und wie gelingt es, permanent Neues zu schaffen?
Das bedeutet, wir sind ständig auf der Suche, etwas anders und besser zu machen. Kreativität ist ein Bedürfnis, nach dem wir alle streben, denn sobald etwas Neues gelingt, stellt sich ein Glücksgefühl ein. Das heißt für uns konkret: Wir fragen permanent draußen am Markt nach, ob etwas nicht funktioniert und, ob man etwas verbessern könnte. Oder der Kunde kommt selbst mit einem Problem oder Vorschlag zu uns, wir lösen es bzw. setzen es um und schicken dem Kunden eine Testversion zurück. Wir haben gerade in eine neue Maschine investiert, mit der wir sehr schnell Prototypen herstellen können. Damit können wir nun schnell auf Vorschläge reagieren und innovative Ideen realisieren. Denn nur das Unternehmen, welches ständig im Wandel ist, wird in Zukunft bestehen. Deshalb habe ich im Unternehmen gerne mit unseren jungen Mitarbeitern zu tun, da sie inspiriert sind und ich ihnen etwas beibringen kann.
Unsere Ideenschmiede sitzt in unserem Headquarter in Gais, dort wird viel getüftelt, es werden viele Ideen diskutiert, manchmal auch Verrücktes zusammengebaut, denn auch das muss sein, um Neues hervorzubringen. Diesen Spirit kann man besonders mit jungen Leuten ausleben. In der Chemie beispielsweise entsteht Neues oft durch einen misslungenen Versuch. Und gerade, wenn junge Leute ins Unternehmen kommen, kann es sein, dass solche „Unglücke“ passieren, aus denen jedoch immer etwas Neues entsteht. Deshalb ist Jugend unglaublich wichtig. Echte Innovation scheitert oft daran, dass man sich damit zufriedengibt, dass etwas gelungen ist, ohne nachzufragen, was noch fehlen könnte. Deshalb hole ich auch gerne einen Nörgler an Bord, der unbedingt etwas finden muss, damit er sein Glücksgefühl entwickelt. Der Wandel in der Arbeit ist einfach etwas Schönes.
Wenn Sie es kurz und knapp beschreiben müssten: Was macht Zirkonzahn so anders?
Anders zu sein an sich ist nicht das Ziel. Ich mache das, von dem ich glaube, dass es gut ist – ohne andere nach deren Meinung zu fragen, ob es gut ist, was ich mache. Und ich bin ständig auf der Lauer, um das Glück beim Schopf zu packen, wenn es vorbeiläuft. Ich habe Mut zu allem und Angst vor nichts!
Sie haben Zirkonzahn in 2003 gegründet, sind gestartet mit dem selbstentwickelten und -gebauten Zirkographen, einem händisch zu bedienenden Zirkonfräsgerät. Mittlerweile hat sich Zirkonzahn zu einem international erfolgreichen Unternehmen entwickelt, das hochmoderne CAD/CAM-Fräsgeräte und entsprechende Materialien herstellt. Viele Unternehmer haben sich auf einem solchen Weg Investoren bzw. Partner an Bord geholt. Sie nicht. Warum?
Weil ich mir durch meine frühe Selbstständigkeit und mein Sieben-Mann-Labor genug Geld erspart hatte, es selbst zu machen und keine externen Partner gebraucht habe. Für die Gründung von Zirkonzahn habe ich natürlich einen Bankkredit in Anspruch genommen, mit der Überlegung: Sollte mir die Bank im Falle eines misslungenen Starts nichts mehr geben wollen, hätte ich immer noch meine privaten Reserven zum Nachschießen gehabt. Und ich hatte das beste Start-up der Welt! Ich habe im April die erste Kopierfräse verkauft, der Break-Even-Point war schon einen Monat später im Mai erreicht und im Dezember hatten wir bereits so viel Umsatz erzielt, dass ich den Gewinn sofort in den Aufbau des Standorts Gais investieren konnte. Diesem erfolgreichen Start ging jedoch eine intensive Vorarbeit voraus. Ich hatte einen perfekten Businessplan vorbereitet und unternehmerisch alles bis ins Detail ausgearbeitet, bevor ich angefangen habe. Das heißt, ich hatte in allen wichtigen Ländern Niederlassungen geplant und einen Deal mit UPS für Overnight-Lieferungen abgeschlossen. Zudem habe ich in Ländern, in denen keine Niederlassungen möglich waren, Fiskalvertretungen implementiert. Somit konnte ich von Anfang an in alle Länder liefern. Und dann ging es los wie eine Rakete.
Gab es nie Rückschläge?
Ja, doch. Ich habe ein Jahr später extern eine Software entwickeln lassen. Da ich dieses Projekt jedoch mit zu viel Vertrauen und ohne gute Berater angegangen bin, habe ich das Monopol an dieser Software verloren. Daraus habe ich gelernt. Nun entwickeln wir alles inhouse und überlegen selbst, wie es funktionieren kann. Darauf begründet sich auch ein Großteil unseres Erfolgs, denn wir gehen neue Projekte mit unseren eigenen Gedanken und gesundem Menschenverstand an. Ich fürchte mich vor nichts und probiere alles so lange, bis es gelingt.
Vielen Dank Herr Steger, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.
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