Bericht
Werkstoffkunde
31.03.22
Verstärkte Silikatkeramiken
Dentale CAD/CAM-Werkstoffkunde zum Anfassen, Teil 2
Die dentale Werkstoffwissenschaft hat sich als eigenständiges Fachgebiet etabliert und sich selbst sowie die gesamte Zahnmedizin lebhaft weiterentwickelt. Dabei schöpft die Werkstoffkunde aus vielen Teilgebieten der Naturwissenschaften, wie zum Beispiel Mineralogie, Physik, Chemie, Ingenieurwissenschaften oder Biologie. Und wie in vielen anderen Bereichen bilden in der Zahnmedizin erst die entsprechenden Werkstoffe den Schlüssel für Fortschritt und Zukunftssperspektiven. Dentale Werkstoffe können daher als Innovationstreiber betrachtet werden. Diese Artikelserie informiert über die Entwicklung dentaler CAD/CAM-Werkstoffe und sensibilisiert für die Relevanz eines fundierten Wissens. Teil 2 beschäftigt sich mit dentalen Keramiken und hier speziell mit verstärkten Silikatkeramiken, insbesondere Lithiumsilikat-Keramiken.
Grundsätzlich lassen sich Keramiken für prothetische Restaurationen unterscheiden in Oxid- und Silikatkeramiken (Abb. 1). Zu den Oxidkeramiken gehört unter anderem Zirkonoxid (siehe Teil 1). Silikatkeramiken werden in weitere verschiedene Gruppen eingeteilt. Seit Jahrzehnten in der Anwendung sind Silikatkeramiken in Form von Verblendkeramiken (Feldspat- beziehungsweise Leuzitkeramiken). Zudem lassen sich Silikatkeramiken verstärken; entweder durch Leuzitkristalle (Leuzitkeramiken) oder durch Lithiumsilikat-Kristalle (Lithiumsilikat-Keramiken). Der vorliegende Artikel befasst sich mit den Lithiumsilikat-Keramiken für die Fertigung vollkeramischer Restaurationen.
Werkstoffkundliche Grundlage
Ausgangsprodukt einer Silikatkeramik ist ein Glas, in welchem durch eine gesteuerte Keimbildung und Kristallisation-Kristalle – wie Lithiumsilikat (Li2SiO3) oder Lithiumdisilikat (Li2Si2O5) – wachsen. Diese Lithiumsilikat-Kristalle verbessern die mechanischen Eigenschaften. Ergebnis sind Lithiumsilikat-Keramiken. Die Lithiumsilikat-Kristalle haben einen Einfluss auf die optischen Eigenschaften der Keramik. Die publizierten Untersuchungen zeigen bei Lithiumsilikat-Keramiken eine höhere Opazität als bei Leuzitkeramiken.
Die gemessene höhere Opazität der Lithiumsilikat-Keramik ist auch auf die Wahl der Farbpartikel (Farbionen oder Pigmente) zurückzuführen. Der bis heute bekannteste Vertreter der Lithiumsilikat-Keramik ist Lithiumdisilikat-Keramik. Zudem gibt es weitere Modifikationen: Lithiummetasilikat und Lithiumaluminosilikat. Je nach Zusammensetzung weisen die Keramiken Biegefestigkeitswerte zwischen 250 und 420 MPa auf.
Wie alles begann
Die ersten Lithiumsilikat-Keramiken wurden bereits in den 1950er Jahren entwickelt. Ende der 1980er Jahre gelang es, eine Lithiumsilikat-Keramik zu entwickeln, die chemisch beständig ist, gute optische sowie mechanische Eigenschaften besitzt und sich als prothetischer Werkstoff qualifiziert. Lange Zeit wurde Lithiumdisilikat-Keramik mit dem Unternehmen Ivoclar Vivadent beziehungsweise mit dem Produkt Empress 2 beziehungsweise IPS e.max in Zusammenhang gebracht.
Der Grund ist einfach: Das Unternehmen brachte die erste Lithiumdisilikat-Presskeramik auf den Markt. Und da die pressbare Lithiumdisilikat-Keramik patentiert wurde, war sie für 20 Jahre dem Liechtensteiner Unternehmen vorbehalten. Die heute als IPS e.max Press bekannte Presskeramik kam im Jahr 1998 unter dem Namen Empress 2 auf den Markt. Hierbei handelt es sich um eine neuartige Keramik, die im bewährten Pressverfahren verarbeitet werden kann. Mit Empress 2 gelang es, die mechanischen Eigenschaften (Festigkeit und Bruchzähigkeit) der Keramik durch eine optimierte Verstärkung zu verbessern und neue Indikationen zu erschließen. Seit 2005 gibt es schleifbare CAD/CAM-Blöcke aus Lithiumdisilikat (IPS e.max CAD) und spätestens jetzt begann der „Triumphzug“ der Lithiumsilikat-Keramiken. Etwa im Jahr 2011 liefen erste Patente aus; weitere Hersteller kamen mit Lithiumdisilikat-Presskeramiken auf den Markt (Abb. 2).
Presspellets aus Lithiumsilikat-Keramik
Die meisten derzeit angebotenen Lithiumsilikat-Presskeramiken sind Lithiumdisilikat-Keramiken. Beispiele für aktuell verfügbare Lithiumdisilikat-Presskeramiken sind IPS e.max Press (Ivoclar Vivadent), Amber Press (Hass Corporations), CeraMotion Press (Dentaurum), Initial LiSi Press (GC Europe), Livento Press (Cendres+Métaux), Vita Ambria (Vita Zahnfabrik). Die Keramiken unterscheiden sich in den optischen und mechanischen Eigenschaften sowie in den Verarbeitungsparametern (Einbettmasse und Pressparameter für den jeweiligen Pressofen). Und mit Celtra Press (Dentsply Sirona) ist auch Presskeramik auf Basis der zirkonoxidverstärkten Lithiumsilikat-Keramiken erhältlich.
CAD/CAM-Blöcke aus Lithiumsilikat-Keramik
Angeboten werden CAD/CAM-Blöcke aus Lithiumsilikat-Keramik von verschiedenen Herstellern (Abb. 3). Je nach Modifikation unterscheiden sich die Verarbeitungswege. Beispiele für schleifbare Lithiumdisilikate sind der Pionier IPS e.max CAD (Ivoclar Vivadent), seit einigen Jahren Amber Mill (Hass Corporations) sowie der Newcomer Initial LiSi-Block (GC). Zudem sind seit 2013 CAD/CAM-Blöcke aus Lithiummetasilikat (Vita Suprinity PC, Vita Zahnfabrik und Celtra Duo, Dentsply Sirona) erhältlich. Auf der IDS 2015 wurden CAD/CAM-Blöcke aus Lithiumaluminosilikat (N!ce, Straumann) vorgestellt und seit 2021 ist eine Keramik mit Lithiumdisilikat- und Lithiumaluminosilikat-Kristallen (Tessera, Denstply Sirona) auf dem Markt.
Wesentliche Unterschiede
CAD/CAM-Block Lithiumdisilikat
Teilkristallisierte CAD/CAM-Blöcke bestehen aus circa 40 Vol.-% Lithiummetasilikat-Kristallen. Die Blöcke befinden sich in einer Zwischenphase und haben daher geringere Festigkeiten und Härten. Sie lassen sich leicht schleifen. Nach dem Schleifprozess findet – je nach Produkt – ein Kristallisationsbrand statt. Die Lithiummetasilikat-Kristalle wandeln sich in Lithiumdisilikat-Kristalle um; das Material verfestigt sich und nimmt die endgültige Farbe und Transluzenz an (zum Beispiel IPS e.max CAD, Ivoclar Vivadent). Diese Umwandlung findet nach Angaben des Herstellers bei dem Material Amber Mill nicht statt. Das Besondere an diesem Material ist, dass die optischen Eigenschaften (speziell die Transluzenz) der Restauration mittels Kristallisationsbrand eingestellt werden können.
- Festigkeit (nach Kristallisationsbrand): circa 300 bis 400 MPa
- Anwendung: Kronen, Abutmentkronen, dreigliedrige Brücken bis zum zweiten Prämolaren, Inlays, Onlays und Veneers
Zudem gibt es vollkristallisierte CAD/CAM-Blöcke aus Lithiumdisilikat, bei denen auf einen zusätzlichen Kristallisationsbrand verzichtet werden kann (zum Beispiel Initial LiSi-Block).
- Festigkeit unter 300 MPa
- Anwendung: Kronen, Abutmentkronen, Inlays, Onlays und Veneers
Lithiummetasilikat
CAD/CAM-Blöcke aus Lithiummetasilikat-Keramiken weisen als Hauptkristallphase Lithiummetasilikat auf. Die Glasphase enthält außerdem gelöstes nicht kristallines Zirkonoxid (10 Gew.-%), woraus die Produktbezeichnung „zirkonoxidverstärkte“ Lithiumsilikat-Keramik resultiert. Restaurationen können aus dem teilkristallisierten Rohling geschliffen und optional für eine höhere Festigkeit einer Kristallisation unterzogen werden.
- Festigkeit ohne Kristallisation: circa 200 MPa und nach Kristallisation: circa 300 bis 400 MPa
- Anwendung: Kronen, Abutmentkronen, dreigliedrige Brücken bis zum ersten beziehungsweise zweiten Prämolaren, Inlays, Onlays und Veneers
Lithiumaluminosilikat
CAD/CAM-Blöcke aus Lithiumaluminosilikat-Keramiken beruhen auf einer Co-Kristallisation zwischen Lithiumdisilikat und Lithiumaluminosilikat. Die Keramik wird nach dem Schleifen ohne Kristallisationsbrand intraoral eingesetzt.
- Festigkeit: circa 250 MPa
- Anwendung: Kronen, Abutmentkronen, Inlays, Onlays und Veneers
Keramik mit Lithiumdisilikat und Lithiumaluminosilikat
Zudem gibt es CAD/CAM-Blöcke aus Keramik, die Lithiumdisilikat- und Lithiumaluminosilikat-Kristalle vereinen. Bei diesen Keramiken ist ein Glasurbrand notwendig. Dieser kann in einem High-Speed-Ofen (SpeedFire-Ofen: 4,5 min. erfolgen.
- Festigkeit: > 400 MPa
- Anwendung: Kronen, Abutmentkronen, Inlays, Onlays und Veneers
Verstärkte Silikatkeramiken
Die Fortschritte in der Werkstoffkunde sowie in der CAD/CAM-Technologie führten insbesondere im vergangenen Jahrzehnt zur Etablierung der Lithiumsilikat-Keramiken. Die diversen Produkte und Modifikationen bieten unterschiedliche Verarbeitungsmöglichkeiten. Großer Vorteil der CAD/CAM-Blöcke gegenüber einer konventionellen Oxidkeramik oder einer klassischen Leuzitkeramik ist die sehr gute Ästhetik (Glaskeramik), die mit einer hohen Festigkeit (Verstärkungskristalle) einhergeht. Insbesondere monolithische Restaurationen stehen daher im Fokus der Anwendung. Die Formgebung wird über das CAD/CAM-Schleifen aus dem Endmaterial oder dem vorkristallisierten Rohling realisiert. Je nach Produkt ist ein Kristallisationsbrand notwendig oder optional möglich. Die Fertigstellung erfolgt bei der monolithischen Umsetzung durch Politur und/oder mit Glasurmasse.
Lithiumdisilikat- und Lithiummetasilikat-Keramiken zeigen vergleichbare WAK-Werte wie Zirkonoxid und können mit allen Glasur- und Malfarben, welche für das Zirkonoxid freigegeben sind, individualisiert werden. Optional kann bei diesen Keramiken das Verblenden mittels Schichttechnik die Ästhetik erhöhen. Populär sind aktuell keramisch basierte Malfarben, die entweder dem Mikro-Layering oder der Maltechnik (Oberflächen-Charakterisierung) dienen. Bei der intraoralen Befestigung ist das volladhäsive Vorgehen zu bevorzugen. Alternativ könnten Universalzemente (ohne Vorbehandlung der Zahnhartsubstanz) angewandt werden. Außerdem lassen sich keramische Einzelzahnrestaurationen mit einer Biegefestigkeit von mehr als 300 MPa zementieren. Hierbei gilt zu bedenken, dass Zemente in der Regel opak sind und die Ästhetik von transluzenten Restaurationen negativ beeinflussen können. Generell gilt aber, dass eine adhäsive Befestigung die Gesamtstabilität der Restauration erhöht und bevorzugt angewandt werden sollte.
Zukünftig zu erwarten sind in dem Bereich der dentalen Keramiken Möglichkeiten mittels 3D-Druck. Hieran wird in großen Schritten gearbeitet. Die Firma Lithos stellte auf der IDS 2021 den 3D-Druck von Lithiumdisilikat-Keramik vor. Momentaner Minuspunkt sind die unverhältnismäßig langen Entbinderungszeiten, die über mehrere Tage – je nach Größe der Restauration – dauern können. Auch an der LMU München wird im Rahmen eines ZIM-Kooperationsprojektes mit den Kooperationspartnern BAM, Vita Zahnfabrik, Renfert und r2 dei ex machina in diese Richtung geforscht und gearbeitet.
Die Werkstoffkunde als Innovationstreiber
Diese kurze Darstellung der Geschichte von Lithiumsilikat-Keramiken unterstreicht einmal mehr die Lebendigkeit der Werkstoffkunde, die maßgeblich zum Etablieren der CAD/CAM-gestützten Fertigung in der Zahnmedizin beigetragen hat.
Zahntechniker sollten Einblick in die Werkstoffkunde haben und unter anderem die unterschiedlichen Keramiken einordnen, diese richtig bearbeiten und mögliche Indikationsbereiche definieren können. Für einen einfachen Zugang kann das digitale Werkstoffkunde-Kompendium (www.werkstoffkunde-kompendium.de) genutzt werden. Das fundierte Grundlagenwissen rund um moderne dentale Materialien ist ansprechend aufbereitet und wird ergänzt durch grafische Animationen, wertvolle Tipps sowie Produkthinweise.
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Verstärkte Silikatkeramiken
Dentale CAD/CAM-Werkstoffkunde zum Anfassen, Teil 2
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