Fachbeitrag

Azubi-Wissen

06.04.22

Funktion der Zähne

Manfred Tauber

Ich möchte vorab sehr kritisch starten, denn kaum eine andere Thematik ist in der Zahnmedizin und in der Zahntechnik so verkannt wie die Funktion. Fachliteratur und Methoden sind vorhanden, aber das Wissen und die folgende praktische Umsetzung scheinen im 21. Jahrhundert immer noch nicht bei allen Kollegen und Kolleginnen angekommen zu sein. Also, wenn nicht jetzt, wann dann?

Wenn wir von Funktion sprechen, müssen wir diesen Begriff vorab definieren. Zähne unterstützen maßgeblich das ästhetische Aussehen unseres Gesichts. Wir benötigen diese für die Phonetik zum Sprechen und natürlich zum Zerkleinern und Schlucken unserer Nahrungsmittel. Dies geschieht alles in einem permanenten Bewegungsrhythmus des Unterkiefers.
Um diese Bewegungen für den zu erstellenden Zahnersatz nachvollziehen zu können und um zu verstehen, welche Voraussetzungen wir benötigen, haben sich herausragende Kollegen aus Zahnmedizin und Zahntechnik Gedanken gemacht und uns sinnvolle Methoden hinterlassen. Eine dieser Methoden, welche für die tägliche Arbeit nachvollziehbar und umsetzbar ist möchte ich Euch vorstellen.

Wichtig: Nur wenn beide, Zahnmediziner und Zahntechniker, relevante Methoden anwenden sowie funktionell richtig zusammenarbeiten, können Restaurationen erstellt werden, welche langfristig erhalten bleiben. Nur so können schädigende Auswirkungen auf die Restaurationen, im Restgebiss, den Kiefer und am Zahnfleisch sowie körperliche Folgen minimiert oder weitgehend ausgeschlossen werden.

Grundvoraussetzung ist ein exakter Modellherstellungsprozess, welcher immer noch meist analog oder mittels des 3-D-Printverfahrens durchgeführt wird. Die digitalen Techniken unterstützen uns dabei. Wir benötigen exakte analoge oder digitale Abdrücke der beiden Kiefer zur Erstellung von Modellen. Eine Modellanalyse sollte immer durchgeführt werden. Wir arbeiten nicht nur statisch sondern auch dynamisch. Hierfür benötigt der Zahntechniker Übertragungsdaten vom Zahnarzt um die Modelle dimensionsgetreu im Artikulator zu platzieren. Zu den Themen der Modellherstellung, Modellanalyse, Einartikulation und Artikulatoren gibt es ausreichend Fachliteratur.

Haben wir die notwendigen Voraussetzungen geschaffen können wir mit der Herstellung unserer Restaurationen beginnen. Dafür möchte ich euch jetzt die naturgemäße Aufwachstechnik und den okklusalen Kompass vorstellen.

Im ersten Beitrag dieser Serie „Morphologie der Zähne“ habe ich die wichtigsten Grundkenntnisse zusammengefasst. Nur wer die Morphologie der Zähne beherrscht, kann eine funktionell störungsfreie Situation erreichen.

Was passiert jetzt an unseren Zähnen, wenn wir täglich tausende von Bewegungen durchführen? Mit Hilfe des Okklusalen Kompasses (Ztm. M.H. Polz †) und der Naturgemäßen Aufwachstechnik „NAT“ mit seinem Farbcode (Ztm. D. Schulz †) können wir die Bewegungen auf unsere Zähne übertragen und diese auch einfach nachvollziehen. In den Grafiken mit Beschreibungen 02.1 und 02.2 wird der Okklusale Kompass an einem oberen Molaren dargestellt und zeigt uns die Bewegungsrichtungen des Unterkiefers. Der okklusale Kompass kann so auf jeden Zahn übertragen werden.

*Beispiel Klasse 1: Die Höckerleiste des disto-bukkalen Molaren im Unterkiefer (Antagonist) generiert den Kontaktpunkt 3 am Molaren des Oberkiefers. Für die notwendigen Freiräume sind folgende Bewegungen zu prüfen – Vorwärtsbewegung (schwarz/Protrusion), Seitwärtsbewegung (blau/Laterotrusion) und eine gemischte Bewegung aus Protrusion und Laterotrusion, die Lateroprotrusion (gelb).
Jetzt wird es aber etwas komplizierter und fordert auf zum Nachdenken. Wir haben Bewegungen auf der Arbeitsseite/Laterotrusionsseite und auf der Balanceseite/Mediotrusionsseite. Das heißt, es finden zum Beispiel Bewegungen seitwärts nach vestibulär und nach innen zur Medianebene hin auf ein und der selben Restauration statt. Werden auf beiden Seiten des Kiefers Restaurationen hergestellt, haben wir ebenso auf beiden Seiten diese Bewegungsabläufe mit seinen notwendigen Freiräumen zu beachten und zu prüfen.

**Beispiel Klasse 1: Bei einer Seitwärtsbewegung/blau/Laterotrusion des Unterkiefers benötigen und prüfen wir die Freiräume am disto-bukkalen
Höcker des Molaren im Oberkiefer. Gleichzeitig benötigen und prüfen wir die notwendigen Freiräume auf der Balanceseite, wo Bewegungen wie die Mediotrusion/grün nach innen zur Medianebene stattfinden. Wir müssen also immer alle Bewegungen an der Arbeits- und Balanceseite
an unseren Restaurationen prüfen.

Diese nachvollziehbare Methodik wird am besten anhand praktischer Beispiele mittels Wax-up erlernt. Die Methodik ist dann auf alle Materialien, wie Keramik und Komposite anwendbar. Verstehen wir diese Systematik analog, dann können wir dieses Wissen auch mittels digitaler Software Programme anwenden. Das ist so wie Fahrradfahren, einmal richtig gelernt und man kann es für immer!
Der Okklusale Kompass und die Naturgemäße Aufwachstechnik „NAT“ mittels der Modellierwachse mit Farbcode geben uns einen nachvollziehbaren Leitfaden, nach dem wir systematisch unsere herzustellenden Restaurationen richtig funktionell aufbauen und fertigen können. Dies fördert die in Theorie erlernte Methodik und kann schon nach kurzer Zeit in den alltäglichen Arbeitsprozess einfließen. In den Abbildungen 03.1 bis 03.5 findet ihr eine kleine Übersicht der Naturgemäßen Aufwachstechnik „NAT“ mittels des Okklusalen Kompasses.

Fazit
Funktionelle dynamische Restaurationen sind viel schwieriger zu reproduzieren als rein morphologisch-statische. Dieses Wissen und die Umsetzung ist Grundwissen für alle Zahnmediziner und Zahntechniker. Nur wenn wir Restaurationen herstellen, welche auch im Bewegungsprozess funktionieren und sich selbst sowie den natürlichen Zahnbestand nicht falsch belasten und schädigen, tragen wir zu einer langfristigen und beschwerdefreien Lebensdauer der Zähne bei.
Mittels dem „GEO Expert Functional Wax Set“ und dem Leitfaden nach Ztm. Oliver Dreher von Renfert können die Basis-Didaktik der Naturgemäßen Aufwachstechnik „NAT“ und des Okklusalen Kompasses erlernt werden. Hierfür empfehlen wir die Teilnahme an Kursen (Homepage Renfert GmbH).

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