{"id":2999,"date":"2022-03-31T12:33:03","date_gmt":"2022-03-31T10:33:03","guid":{"rendered":"https:\/\/dentaldialogue.de\/?p=2999"},"modified":"2022-04-01T18:07:55","modified_gmt":"2022-04-01T16:07:55","slug":"wissenswertes-zu-zirkonoxid","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/dentaldialogue.de\/wissenswertes-zu-zirkonoxid\/","title":{"rendered":"Wissenswertes zu Zirkonoxid"},"content":{"rendered":"\n\n

Eingangs m\u00fcssen wir eines richtigstellen: Korrekt m\u00fcsste es Zirkoniumoxid lauten. Unsere Redaktion hat sich jedoch der Einfachheit halber vor etlichen Jahren f\u00fcr die Trivialschreibweise Zirkonoxid entschieden. Wir bitten also zu bedenken, dass uns durchaus bewusst ist, dass es sich um das Oxid des Elements Zirkonium handelt, auch wenn unsere Schreibweise eher auf das Mineral Zirkon schlie\u00dfen lie\u00dfe. Ganz sch\u00f6n kompliziert!? Aus diesem Grund sprachen wir mit Bj\u00f6rn Theelke, seines Zeichens Materialwissenschaftler und Mitarbeiter der Forschung und Entwicklung von CAD\/CAM-Materialien bei 3M. Er stand uns f\u00fcr dieses Interview zum Thema Zirkonoxid zur Verf\u00fcgung.<\/strong><\/p>\n\n\n\n\n\n

Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung diverser Fertigungsschritte von Zahnersatz oder in der Herstellung von f\u00fcr Zahnersatz ben\u00f6tigter Strukturen sowie der Einf\u00fchrung immer neuer CAD\/CAM-Materialien sind Zahntechniker zunehmend als Technologie- und Materialexperten gefragt. Sie entscheiden nicht nur, welche Werkstoffe im eigenen Labor verarbeitet beziehungsweise angeboten werden, sondern beraten auch ihre Partnerpraxen h\u00e4ufig hinsichtlich der indikationsbezogenen Materialwahl.
Zun\u00e4chst war insbesondere im Bereich der Silikatkeramiken ein Trend in Richtung einer Diversifizierung des Angebots zu erkennen. Inzwischen betrifft diese Entwicklung auch den Werkstoff Zirkonoxid, der zu den Oxidkeramiken geh\u00f6rt. War dentales Zirkon\u00adoxid \u00fcber Jahrzehnte nur als opaker Ger\u00fcstwerkstoff im Einsatz, finden sich heute zahlreiche Produkte mit sehr unterschiedlichen mechanischen und optischen Eigenschaften auf dem Markt.
Die Vielfalt an Produkten geht mit einer Daten\u00adflut einher, die es den Anwendern erschwert, sich einen dezidierten \u00dcberblick zu verschaffen. Aus diesem Grund baten wir Bj\u00f6rn Theelke um Unterst\u00fctzung. Der Zahntechniker und Materialwissenschaftler ist Mitarbeiter der Forschung und Entwicklung von CAD\/CAM-Materialien bei 3M in Seefeld. Er gibt im Folgenden Auskunft dar\u00fcber, was ein Zahntechniker wissen sollte, um sich im Zirkonoxid-Materialdschungel zurechtzufinden.<\/p>\n\n\n\n\n\n

Herr Theelke, worin liegen die Herausforderungen f\u00fcr Zahntechniker, die sich informieren und gegebenenfalls ihr Materialangebot erweitern m\u00f6chten?<\/strong>
Die Herausforderung liegt darin, aus den verf\u00fcgbaren Informationen das Wesentliche herauszufiltern. Erst wenn diese sinnvolle Filterung erfolgt ist, lassen sich die relevanten Kennwerte vergleichen, um die Materialien einordnen und den eigenen Bed\u00fcrfnissen entsprechend ausw\u00e4hlen zu k\u00f6nnen. Dabei hilft es, dass der Bereich der Dentalkeramiken genormt ist. In der wichtigsten Norm, ISO\u00a06872 Zahnheilkunde \u2013 keramische Werkstoffe, werden beispielsweise In-vitro-Pr\u00fcfverfahren beschrieben, die unter anderem zur Ermittlung von zwei wichtigen Eigenschaften durchzuf\u00fchren sind \u2013 der Biegefestigkeit und der Rissz\u00e4higkeit. Zudem enth\u00e4lt die Norm eine Klassifizierung, die einen Vergleich von Materialien verschiedener Hersteller erm\u00f6glicht und die Orientierung erleichtert.<\/p>\n\n\n\n\n\n

Warum ist die Biegefestigkeit so wichtig f\u00fcr die Einordnung keramischer Werkstoffe?<\/strong>
Keramische Restaurationsmaterialien weisen in der Regel drei- bis zehnmal h\u00f6here Druck- als Biegefestigkeiten auf. Der Grund daf\u00fcr, dass sie auf Zug- beziehungsweise Biegespannungen so empfindlich reagieren, ist ihre geringe Elastizit\u00e4t und plastische Verformbarkeit. Generell treten die gr\u00f6\u00dften Zugspannungen dort auf, wo eine horizontale Unterst\u00fctzung der Keramik durch Zahnhartsubstanz fehlt. Dies ist zum Beispiel bei Br\u00fcckengliedern der Fall, bei denen wiederum die Konnektoren die gr\u00f6\u00dfte Schwachstelle bilden. Darum ist die Biegefestigkeit eine kritische Gr\u00f6\u00dfe, die f\u00fcr die Festlegung des Indikationsspektrums, der Mindestwandst\u00e4rken und der minimalen Verbinderquerschnitte von keramischen Werkstoffen herangezogen wird.<\/p>\n\n\n\n\n\n

Wie wird die Biegefestigkeit ermittelt?<\/strong>
In der Norm (ISO\u00a06872:2015) werden drei Pr\u00fcfverfahren beschrieben: die biaxiale Biegepr\u00fcfung, die Drei-Punkt-Biegepr\u00fcfung und die Vier-Punkt-Biegepr\u00fcfung. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der Versuchsanordnung und der Probek\u00f6rpergeometrie sowie der Oberfl\u00e4chenbeschaffenheit. Die Versuchsanordnung f\u00fcr die \u00adbiaxiale Biegepr\u00fcfung ist in der Abbildung\u00a02a<\/strong> dargestellt. Grunds\u00e4tzlich liefert die Pr\u00fcfung zur Ermittlung der Drei-Punkt-Biege\u00adfestigkeit (Abb.\u20092b) <\/strong>immer die h\u00f6chsten und die Vier-Punkt-Biegepr\u00fcfung (Abb.\u20092c)<\/strong> die geringsten Festigkeitswerte. Bevor Anwender Werte miteinander vergleichen, sollten sie also darauf achten, dass den zu vergleichenden Werten jeweils das gleiche Testverfahren zugrunde liegt.<\/p>\n\n\n\n\n\n

Was hat es mit der Rissz\u00e4higkeit auf sich?<\/strong>
Die Rissz\u00e4higkeit ist wie die Biegefestigkeit eine wichtige Materialeigenschaft, die R\u00fcckschl\u00fcsse auf das klinische Langzeitverhalten einer Dentalkeramik zul\u00e4sst. In jeder Keramik befinden sich intrinsische oder auch durch Umwelteinfl\u00fcsse verursachte Defekte. Von ihnen ausgehend, k\u00f6nnen sich Risse bilden, die sich je nach Rissz\u00e4higkeit mehr oder weniger stark im Material ausbreiten und schlie\u00dflich zu Frakturen f\u00fchren k\u00f6nnen. Je gr\u00f6\u00dfer die Rissz\u00e4higkeit, desto geringer ist die Neigung zur Ausbreitung eines Risses.<\/p>\n\n\n\n\n\n

Welche Testverfahren sind f\u00fcr die Bestimmung der Rissz\u00e4higkeit vorgeschrieben?<\/strong>
Die in der ISO-Norm empfohlene Methode zur Bestimmung der Rissz\u00e4higkeit ist die SEVNB(Single-Edge V-Notched Beam)-Methode (Abb.\u20093a)<\/strong>. Bei dieser wird in einen Probenk\u00f6rper mit den Abmessungen 16\u00a0\u00d7\u00a04 \u00d7\u00a03\u2009mm eine 1\u2009mm tiefe Kerbe eingearbeitet. Anschlie\u00dfend wird der K\u00f6rper in einem speziellen Messger\u00e4t mit einem Vorschub von 0,5\u2009mm\/min im Drei-Punkt-Biegeversuch bis zur Fraktur belastet. Die Berechnung der Rissz\u00e4higkeit erfolgt in Abh\u00e4ngigkeit von der Frakturkraft, der Pr\u00fcfk\u00f6rpergeometrie und der Tiefe der Kerbe. Bei 3M werden im Sinne einer l\u00fcckenlosen Qualit\u00e4ts\u00fcberpr\u00fcfung zus\u00e4tzlich zwei weitere Verfahren zur Ermittlung der Rissz\u00e4higkeit eingesetzt: die SCF(Surface Crack in Flexure)-Methode, bei der ein Anriss gesetzt, die Probe gebrochen und die Rissz\u00e4higkeit unter Ber\u00fccksichtigung der Defektgr\u00f6\u00dfe und der Frakturkraft ermittelt werden (Abb.\u20093b)<\/strong>, und die SID(Surface Indenta\u00adtion)-Methode (Abb.\u20093c)<\/strong>. Dabei werden mit einer Diamantpyramide Oberfl\u00e4chenrisse erzeugt. Die Rissz\u00e4higkeit ergibt sich aus der Eindruckkraft des Diamanten und der erzeugten Rissl\u00e4nge.<\/p>\n\n\n\n\n\n

Welche Sollwerte sind f\u00fcr die Einteilung der Keramiken in verschiedene Indikationsklassen angegeben?<\/strong>
Dentalkeramiken werden in f\u00fcnf Klassen eingeteilt. In der Regel erf\u00fcllen mit drei Prozent Yttriumoxid stabilisierte Zirkonoxide (tetragonal stabilisiertes Zirkonoxid) die Voraussetzungen f\u00fcr die Klasse\u00a05. Vor\u00adgegeben sind daf\u00fcr eine Biegefestigkeit von mindestens 800\u2009MPa und eine Rissz\u00e4higkeit (KIc) gr\u00f6\u00dfer\u00a05. Der f\u00fcr diese Materialien empfohlene Indikationsbereich reicht von Einzelzahnrestaurationen bis zu Br\u00fccken und Br\u00fcckenger\u00fcsten mit langen Spannweiten. Die Anforderungen an Materialien der Klasse\u00a04 sind eine Biegefestigkeit von mindestens 500\u00a0MPa und eine Rissz\u00e4higkeit (KIc) gr\u00f6\u00dfer\u00a03,5. Meist handelt es sich dabei um Zirkonoxid mit einem Yttriumoxid-Anteil von f\u00fcnf Prozent (kubisch stabilisiertes Zirkonoxid). Freigegeben sind diese Materialien f\u00fcr Einzelzahnrestaurationen sowie Br\u00fccken beziehungsweise Br\u00fcckenger\u00fcste mit maximal drei Gliedern (auch im Seitenzahnbereich). Hochfeste Glaskeramik wie Lithiumdisilikat geh\u00f6rt hingegen zu den Dentalkeramiken der Klasse 3 (Biegefestigkeit > 300\u2009MPa, Rissz\u00e4higkeit KIc > 2), deren Indikationsbereich Einzelzahnrestaurationen und dreigliedrige Frontzahnbr\u00fccken umfasst.<\/p>\n\n\n\n\n\n

Laut der Einteilung kommt f\u00fcr einige Indikationen ausschlie\u00dflich tetragonales Zirkonoxid infrage. Welche weiteren Kriterien bestimmen die Materialwahl bei den anderen Indikationen?<\/strong>
Der neben den mechanischen Eigenschaften wichtigste Faktor ist das \u00e4sthetische Potenzial eines Materials, das haupts\u00e4chlich durch die Transluzenz und die F\u00e4rbetechnologie bestimmt wird. Dabei gilt die Faustformel: Je h\u00f6her die Festigkeit eines Materials, desto geringer ist seine Transluzenz (Abb.\u20094)<\/strong>.
Allerdings beeinflusst die gew\u00e4hlte F\u00e4rbetechnologie beide Eigenschaften. Da die Anforderungen an ein Restaurationsmaterial je nach Indikation unterschiedlich sind, verarbeiten die meisten zahntechnischen Labore mehr als ein Zirkonoxid.<\/p>\n\n\n\n\n\n

Was spricht f\u00fcr den Einsatz eines Zirkonoxids der Klasse\u00a04 gegen\u00fcber dem Einsatz einer Glaskeramik der \u00adKlasse\u00a03?<\/strong>
Die h\u00f6here Festigkeit von Zirkonoxid ist mit mehreren Vorteilen verbunden. Dazu geh\u00f6rt die Freigabe f\u00fcr kleinere Br\u00fccken im Seitenzahnbereich ebenso wie eine geringere Mindestwandst\u00e4rke, die eine substanzschonendere Pr\u00e4paration erm\u00f6glicht. Hinzu kommt die M\u00f6glichkeit, sowohl Kronen als auch Br\u00fccken aus diesem Material selbstadh\u00e4siv befestigen zu k\u00f6nnen. Diese Befestigungsmaterialien lassen sich besonders effizient einsetzen und sind feuchtigkeitstoleranter als diejenigen, bei denen ein separates Adh\u00e4siv angewendet werden muss. Viele Anwender bevorzugen zudem das Sandstrahlen der Restaurationsinnenfl\u00e4chen, das f\u00fcr Zirkonoxid empfohlen wird. Dieser Vorkonditionierung steht das \u00c4tzen mit Flusss\u00e4ure gegen\u00fcber \u2013 ein Verfahren, das viele Anwender ablehnen.<\/p>\n\n\n\n\n\n

Haben Sie noch einen Tipp f\u00fcr Anwender bez\u00fcglich der richtigen Wahl der Zirkonoxide?<\/strong>
Meine Empfehlung lautet, anhand der mechanischen und optischen Eigenschaften ein Zirkonoxid der Klasse\u00a05 und eines der Klasse\u00a04 auszuw\u00e4hlen. Bei den Materia\u00adlien der Klasse\u00a04 kann es sinnvoll sein, verschiedene Varianten im Labor testweise zu verarbeiten, um das \u00e4sthetische Potenzial zu vergleichen. Voraussetzung f\u00fcr gute Ergebnisse ist unabh\u00e4ngig vom Werkstoff die exakte Einhaltung der materialspezifischen Verarbeitungsempfehlungen des Herstellers. Je transluzenter die Werkstoffe sind, desto st\u00e4rker wirken sich Verunreinigungen bei der Verarbeitung oder auch suboptimale Sintertemperaturen auf die \u00c4sthetik des Ergebnisses aus.<\/p>\n\n\n\n