Fachbeitrag

Implantatprothetik

17.10.23

Full-Arch-Konusprothese

Digital geplant und CAD/CAM gefertigt

Ztm. Sebastian Schuldes MSc, Dr. Alexander Volkmann und Torsten Wagner

Der digitale Workflow erlaubt und erleichtert – bei strenger Indikation – auch komplexe implantatprothetische Full-Arch Restaurationen. Vorausgesetzt, Zahnarzt und Zahntechniker kommunizieren konstruktiv und können auf einen gemeinsamen Datenpool zugreifen, was in jeder Therapiephase eine CAD/CAM basierte Fertigung der jeweils digital geplanten Komponenten erlaubt. Eine derart effektive wie effiziente Planung und zahntechnische Umsetzung bringt einen erheblichen Zeitgewinn und für den Patienten einen „angenehmeren“ Therapieverlauf.

Auch in einem stark kompromittierten Oberkiefer kann – soweit fallbezogen möglich – eine Implantation mit Sofort­belastung zu einem prognostizierbaren Ergebnis mit hoher Überlebensrate und weitgehendem Erhalt der hart- und weichgewebigen Ausgangsituation führen. Grundlagen hierfür sind – neben der Primärstabilität der Implantate – eine ­präzise, digital basierte präimplantologische Planung und Fertigung der prothetischen Komponenten sowie das kompetente und vertrauensvolle Zusammenwirken insbesondere von Chirurg und Zahntechniker.

Von der Diagnostik zum ­Sofortprovisorium
Der Patient, ein erfolgreicher und stark engagierter Geschäftsmann mit längerer Zahnarztkarenz, wollte noch kurz vor einem nicht mehr aufschiebbaren stationären Krankenhausaufenthalt mit zu erwartender Chemotherapie seine desolate Oberkiefer-Bezahnung sanieren lassen. Er klagte über gelockerte Zähne, massive Einschränkungen seiner Kaufunktion und mangelnde Ästhetik. Schon die visuelle Inspektion beim Zahnarzt zeigte, dass er bisher nicht prothetisch versorgt worden und die verbliebenen Zähne nicht zu halten waren. (Abb. 1 bis 10).
Eine Vollprothese mit Gaumenplatte als Restauration lehnte der Patient kategorisch ab, er favorisierte vielmehr eine festsitzende implantatprothetische Versorgung. Aufgrund des Zeitfaktors der dafür präoperativ notwendigen, umfangreichen augmentativen Maßnahmen kam das jedoch nicht in Betracht. Weitere Indikationseinschränkungen wegen systemischer Risikofaktoren oder einer voraussichtlichen medikamentösen Therapie jedoch bestanden nicht. Nach einem ausführlichen und offenen Beratungsgespräch ließ sich der Patient (Shared Decision Making [2, 3, 5]) von einem Vollversorgungs-Set-up in Form einer herausnehmbaren, gaumenfreien Teleskopprothese auf sechs Implantaten mit provisorischer „Krankenhaus“-Sofort- und späterer Definitivversorgung überzeugen. Die Vorzüge der Konusprothese, insbesondere mit einer Primärstruktur aus Keramik und einer Sekundärstruktur aus Feingold, gaben den Ausschlag: Ausgleich des vorliegenden vertikalen Gewebeverlust ohne komplexe und zeitaufwendige Augmentationen, ansprechende Ästhetik, geringe Plaqueanlagerung, Langlebigkeit, hoher Tragekomfort dank guter Retentionswerte und gute Pflegeeigenschaften [4]. Die Haftung zwischen den beiden Strukturen beruht hierbei nicht auf Friktion, sondern auf Adhäsion (Tribologisches System). Dabei erzeugen der initiale Strömungswiderstand im kapillaren Spalt und die molekulare Adhäsion (Van-der-Waals-Kräfte) den gewünschten „sanften“ Hafteffekt des Verbindungselements, sodass die Prothetik friktionslos auf einem hauchdünnen Speichelfilm gleitet [1].
Die anfänglichen Bedenken des Patienten wegen eines möglichen Demaskierungseffekts konnten anhand der vorge­se­henen zahnfarbenen Primärteile ausgeräumt werden. Der ebenfalls sanierungsbedürftige Unterkiefer sollte im ­Anschluss an die definitive Oberkieferversorgung rehabilitiert werden.
Für die dreidimensionale Positionsbestimmung der Implantate und die Planung der prothetischen Versorgung wurden die DVT-Aufnahme und der Intraoralscan gematcht und ein virtuelles Wax-up im Sinne des Backward Plannings erstellt. Nach Zustimmung des Patienten und Freigabe des Chirurgen wurde eine entsprechende Bohrschablone konstruiert und gedruckt. Für die Präzision der Bohrungen ausschlaggebend ist dabei die hochpräzise Überführung des digitalen Set-up in die Bohrschablone. Zuvor wurden noch mit Abutments aus der Bibliothek die Schraubenkanäle positioniert. Der Implantologe setzte sechs Progressiv line Implantate (Camlog, Wimsheim), da diese aufgrund ihrer aggressiveren Geometrie auch in kompromittiertem Knochenlager stabil inseriert werden können.
Nachdem ein 3D-Modell erstellt war, wurde das Provisorium aus zahnfarbenem PMMA präoperativ CAD/CAM-gefertigt, zur analogen Kontrolle auf den Gipssockel gesetzt und im Artikulator auf seine Passgenauigkeit hin überprüft. Die präfabrizierte Sofortversorgung wurde intraoperativ im Mund mit den Titanhülsen spannungsfrei verklebt. Eine Woche später wurden vom Zahnarzt die Fäden gezogen und der Patient konnte seine Therapie antreten. (siehe Abb. 1 bis 10)

Definitive Versorgung mit ­Konusprothese
Nach einem Osseointegrationszeitraum von etwas über sechs Monaten zeigte sich ein weitestgehend entzündungsfrei abgeheiltes Weichgewebe unter dem basal konvex gestalteten und dadurch gut zu reinigendem Provisorium, sodass wie vorgesehen mit der Herstellung der definitiven Versorgung begonnen werden konnte: Kronenabutments aus Zirkonoxid als Primärteile und Galvanokäppchen als Sekundärteile, verklebt in einer Tertiärstruktur aus Kobalt-Chrom. Das kurz zuvor i.r. 15 gebrochene, nicht metallverstärkte Sofortprovisorium konnte angesichts der anstehenden definitiven Versorgung unbehandelt bleiben, lediglich ein Gingivaformer wurde eingesetzt.
Die klinische Situation wurde mittels Intraoralscan digitalisiert und mit dem Set-up gematcht. Als Primärteile wurden individuelle Crown-Abutments in Form von Konuskronen mit einem Konvergenzwinkel von 2 Grad CAD/CAM-gestützt aus Zirkonoxid hergestellt und darauf die Sekundärkappen aus Feingold mittels Galvanotechnik mit hoher Passung abgeschieden. Für ein friktionsloses und verschleißarmes Gleiten der beiden Komponenten und damit eine komplikationslose Entnahme der Konusprothese ist eine möglichst hoch vergütete Oberfläche der Primärteile ausschlaggebend. Die Tertiärstruktur zur Fassung der Galvanokappen wurde aus reinem Kobalt-Chrom herausgefräst. Um einen spannungsfreien Sitz zu erreichen und eventuelle Passungsdifferenzen in den Strukturen ausgleichen zu können, wurden die Komponenten intraoral verklebt („Passive- Fit“ gemäß Weigl-Protokoll). Ein Schlüssel erleichtert dem Zahnarzt dabei das exakte Ausrichten der Abutments. Durch ein solchen analogen „Kunstgriff“ können auch komplexe Full-Arch-Versorgungen in einem vollständig digitalen Workflow gelöst und Knocheneinbrüche an Implantaten, die ohne erkennbare sonstige Auslöser auf Spannungen in der Prothetik zurückzuführen sein dürften, damit verhindert werden.
Für eine patientenindividuelle Programmierung des Artikulators wurde eine Axiographie (Cadiax System) durchgeführt, mittels Zentrikregistrat das Unterkiefermodell zum Oberkiefermodell montiert und dieses schädelbezogen mit einem Gesichtsbogen in den Artikulator übertragen. Funktion und Ästhetik wurden an der Zweitprothese überprüft, um noch eventuelle Korrekturen ausführen zu können. Bis zur endgültigen Fertigstellung der Arbeit war der Patient mit der Reiseprothese versorgt. Nach der zweiwöchigen Tragezeit der Reiseprothese war bereits eine deutliche Verbesserung der Schleimhautsituation erkennbar.
Auf Grundlage eines solchen digitalen Workflows mit analoger Kontrolle konnte bereits in der dritten Sitzung die finale Arbeit, verblendet mit einem Verblendschalensystem aus Hochleistungspolymer, eingesetzt werden. (Abb. 11 – 40)

Schlussbetrachtung
Je kooperativer und damit sowohl effektiver wie auch effizienter die digitale Planung und die chirurgische wie fertigungstechnische Umsetzung sind, als desto komfortabler empfindet ein Patient die Behandlung. Der digitale Workflow von der Planung bis zu computergesteuerten Fertigungsprozessen erleichtert die Kommunikation zwischen Zahnarzt und Zahntechniker erheblich, wenn jederzeit auf einen gemeinsamen aktuellen Datensatz zurückgegriffen werden kann. Digitale ­Abformungen lassen sich mit 3-D-Röntgenbildern und Gesichtsscans matchen, Knochenstrukturen können in die Planung einbezogen, chirurgisch wie prothetisch ideale Implantatpositionen gefunden und Bohrschablonen wie Langzeitprovisorien für die Sofortbelastung auf Grundlage derselben Daten digital gefertigt werden.
Letztendlich bekam der Patient, was er sich anfangs wünschte: seine, wenn auch durch die mikrobewegungsfreie Ver­ankerung nur „gefühlte, festsitzende“ Versorgung.

Vita
Ztm. Sebastian Schuldes MSc

  • 1996 – 2000 Qualifikation zum Zahntechnikermeister mit Fortbildung zum Betriebswirt im Handwerk
  • seit 1999 Geschäftsführer ­Dentallabor-Schuldes GmbH in Eisenach
  • 2006 bis 2008 Studium zum Master of Science (MSc) an der Donauuniversität Krems / Bonn
  • 2007 Gründung von S-implantat® – Planungsdienstleister 3D – Implantatplanung
  • 2011 Aufbau des Fräszentrums zaxocad DENTALSOLUTIONS®
  • Diverse Lehrgänge zur Spezialisierung auf dem Gebiet der Implantatprothetik
  • Zahlreiche Publikationen sowie nationale und internationale Fachvorträge

Kontakt
Ztm. Sebastian Schuldes MSc
Dental-Labor Schuldes
Johann-Sebastian-Bach-Straße 2
99817 Eisenach
Tel.: + 49 3691 203950
info@zahn-neu.de

Dr. Alexander Volkmann
FACELOOK CONCEPT
Leutragraben 2
07743 Jena
Tel.: +49 3641 5598765
volkmann@facelookconcept.de

Torsten Wagner
Zahnarztpraxis Torsten Wagner
Schwarzburger Straße 18
07407 Rudolstadt
Tel.: +49 3672 422422
info@karies-killer.de

Info
Der klinische Part des Fachbeitrags wird genauer in teamwork 6/23 ­erläutert.

Literatur
[1] AG Keramik (Hrsg). Vollkeramik auf einen Blick, 4. deutsche Ausgabe 2010, S.66
[2] Grande, S: Gemeinsam entscheiden. Zahnärzt Mitteil, 2014 (14 A), S. 34–38
[3] Groß, D: Ethische Fragen in der Zahnheilkunde; III Zahnärztliche Kommunikation in ethischer Sicht. Vorlesungsskript v. 02.11.2015 (> S2K-Leitlinie)
[4] Kern JS, Wolfart S. Implantatprothetische Versorgung des zahnlosen Oberkiefers, S3-Leitlinie (Langfassung); AWMF-Registernummer: 083–010, Stand: November 2020, gültig bis: Oktober 2025
[5] Utz K-H, Hugger A. Instrumentelle zahnärztliche Funktionsanalyse und Kieferrelationsbestimmung. S2k-Leitlinie (Langfassung); AWMF Registernummer: 083–017, Stand: Juli 2022, gültig bis Juli 2027

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