Statement

Branche & Insights

16.06.25

Was kostet die Zukunft der Zahntechnik?

Zwischen Wertschätzung und Wertschöpfung: die Dentalbranche im Spagat

Steffen M. Schumacher

Einblicke in die Berufswelt der Zahntechnik-Lehrlinge

Der langjährige Berufsschullehrer und Coach für Kommunikation und Bildung, Steffen M. Schumacher, hat an der Landesberufsschule für Zahntechnik in Neumünster/Schleswig-Holstein 138 Azubis befragt: zu ihren Zukunftsvorstellungen und ihrer Einstellung zum Beruf. Er erhielt ehrliche, teils erschütternde Einblicke in die Berufswelt der Zahntechnik-Lehrlinge. In seinem Kommentar leitet er aus dem, was er insbesondere zum Thema „Wert-Schätzung“ erfahren hat, Perspektiven und Handlungsvorschläge für Betriebe, Innungen und die Politik ab.

Aus meiner Befragung der Zahntechniker-Auszubildenden aller Lehrjahre im Herbst 2023 sticht eine Erkenntnis besonders hervor: 24 % von ihnen wollen nach der Ausbildung nicht im Beruf bleiben! Ich kann aus den Antworten, die ich im Online-Fragebogen erhielt, und aus meiner langjährigen Erfahrung als Berufsschullehrer und Coach heraus nicht nur eine Analyse, sondern auch einen engagierten Appell ableiten: Wir müssen jetzt handeln, wenn wir die Attraktivität und Zukunft des Berufsfelds sichern wollen.

Denn meine Befragung zeigt auch mögliche Lösungsansätze: Kommunikation, Wertschätzung, Sicherheit und Vertrauen sind die Basis für den Verbleib im Beruf nach der Zahntechniker-Ausbildung. Es liegt zudem nahe, dass diese Wertvorstellungen für einen erfüllenden Arbeitsplatz auch bei längerfristig Beschäftigten, Angestellten und Gesellen in der gesamten Dentalbranche gelten dürften.

Kommunikation ist, das zeigt mir meine Lehrtätigkeit und meine Erfahrung als Coach, in allen Prozessen in Unternehmen und im privaten Umfeld das Mittel der Wahl.

Und Menschen sichtbar zu machen, damit sie ihre Expertise und Fachlichkeit zeigen können und mit anderen Menschen in ihrem Umfeld positive Bewegung etablieren können, ist mein Herzensthema.

Wertschätzung bereits in der Ausbildung

Die Gründe für den Ausstieg junger Menschen aus der Zahntechnik-Branche bereits nach ihrer Ausbildung sind zu einem großen Teil in den finanziellen Aussichten zu finden. Ich habe es in meinen zehn Jahren als Berufsschullehrer an der Landesberufsschule für Zahntechnik in Neumünster oft selbst erlebt, dass den jungen Zahntechnikern nach erfolgreich absolvierter 3,5-jähriger Ausbildung ein Vertragsangebot mit einem Gehalt exakt oder lediglich leicht über dem aktuellen Mindestlohn vorlag. Bemerkenswert ist, dass nur 54 von 327 (das entspricht 16,5 %) aller dualen Ausbildungsgänge in Deutschland [1] dreieinhalbjährig sind, und die Zahntechnik aufgrund ihrer Komplexität und Anforderungen an handwerkliche Fähigkeiten beim Umgang mit verschiedensten Materialien und Verarbeitungstechniken zählt hier natürlich dazu. Bedauerlich ist dabei jedoch die Häufigkeit, mit der ein gesetzlicher Mindestlohn [2] nach dieser langen Ausbildungszeit überhaupt zur Debatte steht. Handelt es sich tatsächlich um Wertschätzung, wenn Gesellen in anderen Berufen beispielsweise mit einer zwei- oder dreijährigen Ausbildung mehr Gehalt winkt als in der Zahntechnik mit dreieineinhalb Jahren?

Der Blick in die Ausbildungsberufe ist bereits richtungsweisend: Laut Bericht der HWK Trier [3] wird in 14 von den 103 untersuchten Berufen die gesetzliche Mindestausbildungsvergütung bezahlt. Die Zahntechnik ist bei diesen 14,6 % der untersuchten Berufe vertreten. Leider. Nur um einmal einen anschaulichen Vergleich zu ermöglichen: Mit auf derselben Stufe der Vergütung stehen Berufe wie Orgel- und Harmoniumbauer/in, Orthopädietechnikmechaniker/in, Rollladen- und Sonnenschutzmechatroniker/in, Änderungsschneider/in und Klempner. Die Spanne der Ausbildungsvergütungen in den 190 durch das BIBB verglichenen Ausbildungsberufen [4] ist breit (Berichtsjahr 2023) und die Position der Zahntechnik leider eindeutig.

In der Ausbildung zur ZFA liegen die Ausbildungsvergütungen mit 913 EUR im ersten, 988 EUR im zweiten und 1.070 EUR im dritten Lehrjahr pro Monat zwischen 195 und 233 EUR brutto höher als die der Zahntechniker.
Eine positive Entwicklung für die ZFAs – doch auch hier ist noch Luft nach oben. Denn die notwendigen Fähigkeiten auf menschlicher, technischer und fachlicher Ebene sind mit anderen gut bezahlten Ausbildungsgängen und deren Anforderungen definitiv vergleichbar. Natürlich ist nachvollziehbar, dass Betriebe in sehr unterschiedlichem Maß Zeit und Ressourcen in ihre Auszubildenden investieren können. Das hängt oft von der Größe, Struktur und wirtschaftlichen Lage eines Betriebs ab. Dennoch soll dieser Vergleich vor allem zeigen, welch hohen Anspruch der Beruf der Zahntechnik mit sich bringt – und damit nach außen ein klares Zeichen setzen, dass diese Ausbildung Wertschätzung verdient. Denn genau das kann ein Schlüssel sein, um dem Nachwuchsmangel entgegenzuwirken: Ein ehrliches, respektvolles Bild des Berufs, das junge Menschen anspricht – nicht nur fachlich, sondern auch menschlich.

Blick auf den Arbeitsmarkt

Dass die rosigen Zeiten Geschichte sind (oder waren – wer hält uns davon ab, diese neu zu schreiben?), ist jedem in der Branche klar. Ein genauer Blick auf den Arbeitsmarkt zeigt, wie es aktuell um die Beschäftigten in der Dentalbranche steht. Hierzu zitiere ich einen LinkedIn-Beitrag des Verbands medizinischer Fachberufe e. V. (vmf) vom 15.04.2025 [5]:

  • ZFA und Zahntechniker gehören trotz drei- bzw. dreieinhalbjähriger Ausbildung und hoher Verantwortung zu den am schlechtesten bezahlten Fachkräften im Gesundheitswesen.
  • 25 % der ZFA verdienten 2023 weniger als 12,57 EUR/Stunde und lagen damit nur knapp über dem Mindestlohn.
  • Bis 2027 werden über 11 000 qualifizierte ZFA fehlen.
  • Für das Zahntechnikhandwerk liegt das Gehalt im Mittel zwar bei 2.982 EUR im Monat (17,22 EUR/Stunde), aber die Gehaltsdifferenz zwischen Männern und Frauen beträgt 19,8 %.
  • Nach jahrzehntelanger wichtiger Arbeit droht die Altersarmut.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Die Lohnunterschiede innerhalb Deutschlands sind gravierend. Laut Berechnungen des vmf verdienen Berufseinsteiger unter vergleichbaren Voraussetzungen (Realschulabschluss, keine Berufserfahrung, kein Tarifvertrag, unbefristeter Vertrag, 40-Stunden-Woche, keine Sonderzahlungen) in Sachsen im Schnitt über 500 EUR weniger im Monat als in Baden-Württemberg. Teilweise liegt das Einkommen damit sogar unter dem gesetzlichen Mindestlohn von 12,82 EUR (Stand: Januar 2025) [6] – trotz abgeschlossener Ausbildung und voller Berufstätigkeit.

Es verwundert daher nicht, dass der Ruf nach einem Branchenmindestlohn von 17,50 EUR. Stunde immer lauter wird. Eine entsprechende Petition des Verbands medizinischer Fachberufe hat bereits breite Unterstützung erfahren und bringt das auf den Punkt, was in vielen Gesprächen, Umfragen und Erfahrungsberichten mitschwingt: Der finanzielle Wert eines Berufs stimmt oft nicht mit seiner tatsächlichen gesellschaftlichen Bedeutung überein.
Doch wie viel ist die Arbeit eines Menschen wert, der täglich hoch konzentriert, kreativ und verantwortungsvoll dafür sorgt, dass Patienten wieder unbeschwert lächeln können? Wie lässt sich diese Kombination aus Feingefühl, Präzision, Teamarbeit und Gesundheitsvorsorge in Euro bemessen?

Zwischen Anspruch und Realität

Zugleich darf nicht ausgeblendet werden, welche Herausforderungen kleine und mittelständische Betriebe zu stemmen haben, um wirtschaftlich überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Höhere Löhne bedeuten auch höhere Belastungen – gerade in einem Handwerk, das oft von Auftragslage, Materialkosten und unregelmäßigen Einnahmen abhängig ist. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Jörg Dittrich, bringt diese Sorge nüchtern auf den Punkt: „Ein zu hoher Mindestlohn setzt die Wettbewerbsfähigkeit weiter herunter, und wir nehmen billigend in Kauf, dass Geschäftsmodelle verloren gehen.“ Dittrich warnte vor Jobverlusten: „Es würde keine Kündigungswellen im Handwerk geben, aber es gibt ein stilles Sterben, weil Meister sagen, das rechnet sich nicht mehr, ich schließe einfach den Laden zu.“ [7]

Auch wirtschaftspolitische Stimmen innerhalb des Handwerks sehen die Dynamik kritisch. Es wird argumentiert, dass eine politische Festlegung des Mindestlohns die Tarifautonomie untergrabe – ein Grundprinzip der deutschen Arbeitsbeziehungen. Zugleich betont der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dass die Erhöhung des Mindestlohns auf 12,82 EUR nur ein Zwischenschritt sein könne. „Um Altersarmut zu verhindern, brauchen wir einen Mindestlohn von mindestens 14,50 bis 15 EUR. Die aktuellen Löhne reichen oft nicht zum Leben.“ [8]
Die Debatte dreht sich also nicht nur um Wirtschaftlichkeit, sondern auch um soziale Gerechtigkeit – ein Spannungsfeld, das sich im Handwerk besonders deutlich zeigt, da dort viele arbeitsintensive Kleinbetriebe tätig sind.

Hier braucht es ein ehrliches Hinsehen: Manche Betriebe zahlten gerne besser, können es aber nicht leisten, ohne an anderer Stelle wirtschaftlich in Schieflage zu geraten. Es geht also nicht um bösen Willen, sondern um systemische Grenzen – die wir aber auch systemisch verschieben können, wenn wir bereit sind, über den Tellerrand hinaus zu denken.

Wertschätzung beginnt nicht erst beim Lohn

Aus meiner Coaching-Perspektive lässt sich sagen: Wertschätzung hat viele Ausdrucksformen. Aber gerade junge Fachkräfte – geprägt durch einen Mix aus Leistungsdruck, Unsicherheiten und Zukunftsangst – achten zunehmend darauf, wo und wie sich echte Anerkennung zeigt. Und ja, Gehalt ist ein zentraler Bestandteil davon. Ein fairer Lohn signalisiert Vertrauen, stärkt das Selbstbild („Ich bin es wert!“) und beeinflusst direkt, ob jemand langfristig bleibt oder innerlich kündigt. Wenn ein Mensch das Gefühl hat, „für einen Appel und ein Ei zu schuften“, hilft auch das schönste Betriebsklima irgendwann nicht mehr. Und genau hier setzt die Diskussion an. Sie sollte nicht nur in Euro und Cent geführt werden, sondern auch mit Blick auf Haltung, Struktur und Zukunftsfähigkeit der ganzen Branche.

Was wären also realistische Lösungen?

  • Transparenz in der Entlohnung: Offene Gespräche über betriebliche Finanzen, Leistungen und Spielräume – nicht als Rechtfertigung, sondern als Einladung zur Mitgestaltung.
  • Stärkere Differenzierung von Einstieg, Erfahrung und Spezialisierung: Warum nicht ein System, das Expertise gezielt belohnt und nicht auf Jahre oder Alter setzt?
  • Branchenfonds oder staatlich geförderte Lohnzuschüsse: Gerade für kleinere Betriebe könnten solche Modelle ein Ausgleich sein, um faire Löhne zu ermöglichen, ohne wirtschaftlich zu scheitern.
  • Verzahnung mit Fortbildung und Verantwortung: Höheres Gehalt kann an Weiterbildungsbereitschaft, Teamverantwortung oder Innovationsideen geknüpft sein.

Fazit: Zukunft sichern heißt Wert vermitteln

Die Frage nach dem Mindestlohn ist keine Frage des Geldes allein. Es ist eine Frage der Haltung gegenüber einem Berufsfeld, das zwischen Hochtechnologie, Handwerk und Patientenzuwendung balanciert. Wenn wir die Zukunft der Zahntechnik sichern wollen, müssen wir nicht nur über Gehalt reden, sondern über den gesamten Rahmen, in dem Arbeit stattfindet. Und das beginnt bei der Art, wie wir über Berufsstolz, Potenzial und gesellschaftlichen Beitrag sprechen. Schon damals hatten meine Auszubildenden in der Berufsschule ähnliche Aspekte geäußert. Denn die Punkte Kommunikation, Wertschätzung, Sicherheit und Vertrauen waren damals bereits im Fokus.
Denn Menschen, die sich wertgeschätzt fühlen, bleiben im Betrieb. Sie entwickeln sich und sie gestalten gemeinsam Zukunft.

Literaturnachweise

[1] BIBB. Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe 2025: www.bibb.de/dienst/publikationen/de/20423
[2] BMAS. Allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn: www.bmas.de/DE/Arbeit/Arbeitsrecht/Mindestlohn/mindestlohn.html
[3] HWK Trier. Infos für Auszubildende: www.hwk-trier.de/artikel/infos-fuer-auszubildende-54,0,423.html#C
[4] BIBB. Vertraglich vereinbarte Ausbildungsvergütungen: www.bibb.de/de/204751.php
[5] www.linkedin.com/posts/verband-medizinischer-fachberufe_liebe-community-und-
mitglieder-eure-resonanz-activity-7317856734868353025-TSdn
[6] www.vmf-online.de/zahntechniker/zt-tarife
[7] www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2025–03/handwerkspraesident-warnt-vor-mindestlohn-von-15-euro
[8] www.dgb.de/service/ratgeber/mindestlohn

Vita

Steffen M. Schumacher ist Experte für Kommunikation, Bildung und Nachhaltigkeit aus Kiel. Als Berater, Speaker und Gründer begleitet er Unternehmen und Bildungseinrichtungen bei der nachhaltigen Transformation. Sein Fokus liegt auf der Förderung von Kommunikation und Bildungsprozessen, um Veränderung auf allen Ebenen eines Systems zu ermöglichen. Sein Ziel ist es, Menschen sichtbar zu machen – sei es im beruflichen Kontext, im Team oder auf der Bühne. Mit langjähriger Erfahrung als Lehrer und praktischer Umsetzer als systemischer Coach schafft er Räume für Wissensvermittlung und initiiert nachhaltige Veränderungsprozesse, die von innen nach außen wirken.

www.steffen-schumacher.de

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