Fachbeitrag

Totalprothetik

18.07.22

Welche Infos brauche ich?

Totalprothetik für CMD-Patienten mithilfe digitaler Funktionsanalyse

Steven Lange

Für eine ästhetische und funktional aufgestellte Totalprothese in einem oder in beiden Kiefern, benötigt man neben dem entsprechenden Grundwissen die passenden Zähne zur Umsetzung. Die Grundprinzipien ändern sich bei CMD-Patienten nicht. Dabei spielt es keine Rolle, ob der betreffende Patient voll-, teilbezahnt oder vollständig zahnlos ist. Im dargestellten Fall, der die Rekonstruktion einer Oberkiefer-Totalprothese zeigt, wird vermittelt, welche Informationen notwendig sind, unabhängig davon, ob der Schwerpunkt in der analogen oder digitalen Welt liegt. Das Wesentliche der Modellanalyse wird verstärkt durch eine präzise Artikulatorenkunde anschaulich dargestellt.

In vorherigen Ausgaben des dental dialogues[1–5] erläuterte Ztm. Kai Franke eindrucksvoll verschiedene Aufstellkonzepte, wie die Aufstellung nach Gysi, die Aufstellmethode TIF sowie eine besonders einfach herzustellende lingualisierte Okklusion. Angefangen von der Modellanalyse nach Lerch/Körholz, über das Grundprinzip des bilateral balancierten Okklusionskonzeptes bis hin zum Aufstellen Zahn-zu-zwei-Zahn ohne Einschleifen bis zum finalen Reokkludieren und schließlich zur Lingualisierung „neu gedacht“, mit flacheren UK-Seitenzähnen (Idealis 8) in Kombination mit stärker ausgeprägten Kauflächen im OK (Mondial 8). Die Modellanalyse nach Lerch/Körholz wurde in vorherigen Beiträgen schon ausreichend erläutert und wird in diesem Beitrag nur kurz angesprochen.
Ein besonderes Augenmerk sollte auf die richtige Auswahl des Artikulators gelegt werden (Abb. 1 bis 3). Die auf dem Markt befindlichen Patienten-Kaubewegungs-Simulatoren besitzen eine Vielzahl unterschiedlicher Ausrichtungspunkte, Bezugsebenen und Konstruktionsarten. Diese Vielfalt hat zu einem regelrechten „Gerätedschungel“ geführt. Grundsächlich sind zwei Artikulatoren-Typen zu unterscheiden, nämlich Arcon- und Non-Arcon.

dd Wissenswert
Arcon- und Non-Arcon-­Artikulatoren
Die Bauarten dieser beiden Artikulatoren unterscheiden sich in der Kugelposition des nachzuahmenden Kiefergelenkköpfchens, dem condylus articularis.

Arcon-Geräte
Dem anatomischen Kiefergelenk entsprechend befinden sich die Kondylarkugeln am Geräteunterteil. Die Kondylarführung am Oberteil.

Non-Arcon-Geräte
Die Kondylargehäuse befinden sich im Artikulatorunterteil, die Kondylarkugeln im Oberteil.

In Schlussbisssituation annähernd gleich, zeigt sich in der dynamischen ­Artikulation/Bewegung eine Änderung des Abstandes der Unterkieferzähne zum Kiefergelenkköpfchen bei den Non-­Arcon-Artikulatoren. Betrachtet man die Mandibula eines menschlichen Schädels, ist in sämtlichen Unterkieferpositionen der Abstand Unterkieferzähne zu Kondylus immer gleich, simuliert in den Arcon-Artikulatoren. Des Weiteren ist die Bauform des Artikulators hinsichtlich der Bezugsebene zum menschlichen Schädel wichtig. Einige Bautypen sind nach der Frankfurter Horizontalen, wie der SAM (rote Markierung), und manche nach der Camperschen Ebene, wie der Artex (grüne Markierung), ausgerichtet. Wobei die Campersche Ebene eine Parallelität zur Okklusionsebene (gelbe Markierung) aufweist (Abb. 4). Während die Frankfurter Horizontale durch den Unterrand der Orbita und den oberen Rand des Porus acusticus externus verläuft, erstreckt sich die Campersche Ebene von der Spina nasalis anterior zum oberen Rand des Porus acusticus externus.
Dies ist vor allem beim Einsatz eines Gesichtsbogens von großer Bedeutung, denn dieser muss passend zum Artikulator ausgewählt werden. Aber welche Informationen liefert ein Gesichtsbogen eigentlich? Der arbiträre (mittelwertige) Gesichtsbogen nimmt den Porus ­acusticus externus und den Nasenrücken als knöchernen Punkt zu Hilfe. Es wird angenommen, und somit nicht genau bestimmt, dass der Abstand zum Kiefergelenk mittelwertig zwischen 8 und 12 mm beträgt. Bei CMD-Patienten darf jedoch nicht von einem Mittelwert ausgegangen werden, erforderlich sind die tatsächlichen Patientendaten. Die zum Patienten gehörenden Bewegungsbahnen lassen sich mithilfe von Werten wie Kondylenbahnneigung und Bennettwinkel einstellen. Es sollte jedoch bedacht werden, dass ein analoges Gerät wie der Artikulator die reellen Patientenbewegungen nicht nachahmen kann, sondern uns lediglich die Möglichkeit bietet, die Bahnen zu verstehen und bestmöglich „nachzufahren“, um Zahnersatz oder Therapiegeräte herzustellen. Im Gegensatz dazu lassen sich in der digitalen Welt die aufgenommenen XML-Dateien exakt darstellen. Dies soll hier jedoch nur der Vollständigkeit halber kurz erwähnt werden, da weitere Ausführungen den Rahmen dieses Beitrags sprengen würden. Weiterhin werden Informationen wie Side-Shift-Bewegung oder Einstellung des Inzisaltellers mit Hilfe der digitalen Funktionsdiagnostik erhoben. Der Freecorder Blue Fox, eine Entwicklung der DDI-Group aus Dortmund, ist ein Gerät zur Ermittlung dieser Daten. Die auf dem Markt angebotenen Geräte unterscheiden sich jedoch sehr in ihrer Anwendung und letztendlich muss der Anwender entscheiden, welche Informationen er von einem Patienten benötigt, um ihn bestmöglich zu versorgen.

Vermessung
Beim Registriersystem Freecorder wird mit dem Anbringen des Bügels an der vestibulären Fläche der Zähne der exakte Abstand der Zähne zum Kiefergelenk bestimmt (Abb. 5 und 6). Dies spielt für das richtige Einartikulieren in den ­Bewegungssimulator eine wichtige Rolle. Gezeigt hat dies schon 1978 eine Studie von Pröschel [6], die auf die Fehlerquellen des falschen Einartikulierens hinwies. Des Weiteren wurde darin auf den Einfluss der Gelenkbahnneigung, des Bennettwinkels und des Interkondylarabstandes sowie auf okklusale Fehler bei falscher Modellpositionierung aufmerksam gemacht.

Auswertung
Nach Auswertung der Vermessung und dem Einstellen der therapeutischen Bissnahme muss für den Patienten ein ­passendes ­Okklusionskonzept gefunden und zunächst in eine Schienentherapie oder unmittelbar in prothetischen ­Zahnersatz umgesetzt werden (Abb. 7 und 8).

Was ist Okklusion?
Die deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) beschreibt Okklusion als „jeden Kontakt, der zwischen den Zähnen des Ober- und Unterkiefers zustande kommt“.
Der Okklusale Kompass ist das wichtigste Hilfsmittel in der Gnathologie. Er wird patientenindividuell angewandt, damit der Patient eine Bissposition einnimmt, welche er ohne die Kompensationen erreichen kann, die in seinem neuromuskulären System implementiert sind. Bekannt ist jedoch nur der zweidimensionalen Kompass (Abb. 9), wobei berücksichtigt werden muss, dass der Mensch ein dreidimensionales Wesen ist (vertikal und horizontal-frontal und horizontal-sagittal). Abbildung 10 zeigt den okklusale Kompass auf einen Zahn angewandt (Abb. 10).

Passende Zahnauswahl
Jeder Zahn eines Herstellers zeichnet sich durch besondere Merkmale aus. Diese Merkmale unterscheiden sich in ihrer anatomischen Form, der Gestaltung der Kaufläche, Schichtung und Material. Ein besonderes Augenmerk sollte bei der Auswahl auf das okklusale Relief (die Kaufläche) eines Zahnes gerichtet werden (Abb. 11).

dd Wissenswert
Es sind vier Okklusionstypen zu unterscheiden:
• Statische Okklusion: Zahnkontakte ohne Bewegung des UK in Interkuspidation
• Dynamische Okklusion: Zahnkontakte, die in Artikulation des UK entstehen
• Habituelle Okklusion: Gewohnheitsmäßige eingenommene statische Okklusion
• Zentrische Okklusion: Statische Okklusion in zentrischer Kondylenposition

Die Aufstellung der OK-Totalprothese beinhaltet in diesem Fall folgende Okklusionskonzepte:
• Frontzahnführung: dynamische Okklusion zwischen Ober- und Unterkieferfrontzähnen
• Eckzahnführung: dynamische Okklusion zwischen Ober- und Unterkiefereckzähnen
• Gruppenführung: dynamische Okklusion zwischen mehreren Zähnen auf der Mediotrusionsseite Unilateral/Bilateral

Die neu erlangte Bissrelation muss mit den richtigen Zähnen abgestützt und umgesetzt werden. Jeder Patient ist ein Individuum und so versteht man nach unzähligen Vermessungen von Patienten umso mehr: Jede Anfertigung für einen Patient ist ein Prototyp! Betrachtet man das funktional gestaltete okklusale Relief eines jeden Zahnes, stellt man fest, dass dieses ebenso einmalig ist wie ein Fingerabdruck. Somit ist auch für jeden Patienten eine individuelle Zahngestaltung in der prothetischen Wiederherstellung seiner Kaufunktion notwendig. Unterschiedliche Zahnformen und konturierte Kauflächen gepaart mit ästhetisch anmutenden Frontzähnen schenken dem Patienten ein natürliches Aussehen, und geben ihm die Fähigkeit, wieder problemlos kauen zu können.

Verwendete Kulzer Zahnlinien im Überblick

Premium
Entwicklungsschwerpunkt Kombiprothetik
Vollanatomomische Zahnformen, identisch mit natürlichen Zahnformen
Multifunktion in allen gängigen
Aufstellkonzepten

Mondial
Entwicklungsschwerpunkt Totalprothetik
Halbanatomische Standard-Zahnlinie in Premium-Qualität
Lässt sich wie Lego Bausteine mit verschiedenen Konzepten aufstellen
Zungenfreiraum und patientenkomfortable Kaufunktion

Idealis
Entwicklungsschwerpunkte Implantatprothetik, Gerontoprothetik, CMD
Derzeit einzige Zahnlinie, die diese Indikationsfelder zusammen abdeckt
Bewegungsfreiheitsgrad von 0,5 mm in jede Richtung aus der Zentrik
In verschiedenen Konzepten sowie in Kombination Mondial im Oberkiefer mit Idealis im Unterkiefer aufstellbar
Natürlich reduzierte Höcker
Schubkräftefreie Funktion
Verhindert durch breit angelegte Kontaktierung Initialabrasion
Harmonisiert implantatretinierte mit gingivalgelagerter Prothetik, selbst bei schwieriger Zentrik

PalaVeneers
Basiert auf Premium im Bereich der Front- und Idealis im Bereich der Seitenzähne
Äußerst dünne Schichtstärken: Front 0,9 mm, Seite 1,0 mm
Reduzierte Fissurentiefe, verbreiterte Zahnhalsbereiche
Maximal erreichbare Gesamtästhetik, selbst bei verringertem Platzangebot und funktionell schwierigen Fällen
Kombinationsmöglichkeiten Pala Veneer in Pala Mix & Match

Fallbeispiel
Wir haben einen Patienten mit einem vollbezahnten Unterkiefer. Jedoch erkennt man Abrasionsspuren, welche sich deutlich durch Fehlfunktion auf Kaufläche und Schneidekante zeigen (Abb. 13 und 14). Gegenüberliegend haben wir einen zahnlosen Oberkiefer, welcher mit Hilfe einer Bissnahme nach therapeutischer Position rekonstruiert wird (Abb. 15 bis 17). Diese Ausgangssituation wird von Anfang an genau analysiert. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein 14er oder 28er hergestellt werden soll. Am Ende entsteht eine funktionierende, ästhetische Totalprothese, gefertigt mithilfe digitaler Funktionsdiagnostik (Abb. 18). Ein wichtiges Credo generell beim Anfertigen von zahntechnischen Arbeiten ist der Grundsatz, dass die Funktion stets vor der Ästhetik steht. Keine Ästhetik ohne Funktion, da anderenfalls der schöne und aufwendig hergestellte Zahnersatz den Kräften einer Fehlfunktion nicht Widerstand leisten kann. Stichwort: „Chipping in der Front“ oder sogar ganzer Höcker im Molarenbereich – und dies selbst bei hervorragenden Materialwerten – insbesondere bei Implantat-retinierten Arbeiten. Mit digitaler Registrierung, Bahnaufzeichnung, Gelenkraumuntersuchung, präzisierter Montage und Artikulation kann man langfristig dafür sorgen, Patienten mit ihrer Versorgung zufrieden und glücklich zu sehen. Das frontale Vestibulum dient der Lippenunterstützung. Den Wert kann man per Gutowski-Zirkel oder einer Schieblehre auf die Aufstellung übertragen. Anhand dieser einzuhaltenden Stufe (Abb. 19 und 20) ergibt sich hier im weiteren Verlauf der Aufstellung eine Zahn-zu-Zahn-Aufstellung. Die Achse der Zähne sollte so gewählt werden, dass eine gleitende Laterotrusion gewährleistet wird (Abb. 21 und 22). Um ein Abklappen der Prothesen zu verhindern, sollte eine bilateral balancierte Okklusion angestrebt werden. Abbildung 23 zeigt die Abstützung der palatinalen Höcker in der dazugehörigen Mediotrusionsbewegung. Die Höckererhaltung trotz ausbalancierter Okklusion ist in Abbildung 24 zu sehen.

Literaturverzeichnis
[1] Franke K. Modellanalyse nach Lerch/Körholz. Totalprothetik: Pala Mix & Match im zahntechnischen Alltag, Teil 1. In: dental dialogue, 22. Jahrgang, 9/21, S. 72–81
[2] Franke K. Bilateral balancierte Okklusion. Totalprothetik: Pala Mix & Match im zahntechnischen Alltag, Teil 2. In: dental dialogue, 22. Jahrgang, 10/21, S. 58–67
[3] Franke K. Aufstellung TiF Zahn-zu-zwei-Zahn ohne Einschleifen. Totalprothetik: Pala Mix & Match im zahntechnischen Alltag, Teil 3a. In: dental dialogue, 22. Jahrgang, 11/21, S. 36–45
[4] Franke K. TiF-Aufstellung mit Einschleifen. Totalprothetik: Pala Mix & Match im zahntechnischen Alltag, Teil 3b. In: dental dialogue, 22. Jahrgang, 12/21, S. 48–57
[5] Franke K. Lingualisierung neu gedacht. Totalprothetik: Pala Mix & Match im zahntechnischen Alltag, Teil 4. In: dental dialogue, 23. Jahrgang, 01/22, S. 46–57
[6] Hofmann M, Pröschel P. Geometrisch-mathematische Analyse von Übertragungsfehlern in den Artikulator und deren praktische Auswirkungen, Teil II. In: Dtsch Zahnärztl Z, 1978; 33(8): 529–39

Weiterführende Literatur
Körholz K-H. Totalprothetik in Funktion. Hilfestellung zum Verständnis und Erlernen totalprothetischer Grundsätze. Quintessenz Verlag, Berlin 1999
Lerch P. Die totale Prothetik. Die neue Synthese – Physiologie und Funktion. Quintessenz Verlag, Berlin 1986
Stang M. Totale mit Twist. Individuelle, ästhetisch-funktionelle Frontzahnaufstellung. In: dental dialogue, 23. Jahrgang, 5/22, S. 24–33

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